Macrons europapolitische Grundsatzrede in der Sorbonne-Universität vom 26.09.2017

Zusammenfassung der Forderungen, Presselinks und Kommentare (bitte nach unten scrollen)

 
Macrons Forderungen / Vorschläge (soweit uns bekannt):
Sicherheit, Migration
1.       Einrichtung einer Europäischen Verteidigungsarmee (mit eigenem Etat) und Eingreiftruppe (ab 2020)
 
2.       Einrichtung einer EU-Asylbehörde
3.       Einwanderungsgesetze harmonisieren
4.       Einrichtung einer EU-Grenzpolizei (besserer Schutz der EU-Außengrenzen)
5.       EU-Ausweise
 
6.       Europäische Staatsanwaltschaft
7.       EU-Geheimdienstakademie
8.       EU-Katastrophenschutz
EU-weite Finanzen, Wirtschaft, Soziales
9.       Angleichung der Unternehmensbesteuerung
    o   Bis 2020 Einrichtung einer Unter- und Obergrenze für Körperschaftssteuersätze
       –  EU-Mindeststeuer für Unternehmen (Stichwort: Besteuerung multinationaler  Konzerne wie Apple, Google, Starbucks, etc.)
10.   EU-Finanztransaktionssteuer für alle EU-Mitglieder (aber nur auf Börsengeschäfte)
 
11.   Angleichung der europäischen Sozialmodelle
12.   „Sorbonne-Prozess“: bis 2024 sollen 20 europäische Universitäten einen europäischen Abschluss anbieten
13.   Harmonisierung der weiterführenden Bildung
14.   Bis 2024 sollen alle jungen EU-Bürger eine Fremdsprache lernen können
15.   Alle unter 25-jährigen sollen ½ Jahr im EU-Ausland studieren oder arbeiten dürfen („Erasmus für alle“)
 
Eurozone
16.   Eurozonen-Budget (evtl. durch spezielle Steuer finanziert)
17.   Eurozonen-Finanzminister (demokratisch legitimiert)
18.   Eurozonen-Parlament
Klimawandel, Technologieförderung
19.   Europäisches Förderprogramm für saubere Antriebstechnologien (E-Auto)
20.   Gemeinsamer europäischer Energiemarkt
21.   Reform des CO2-Emissionshandels
    o   Preis/Tonne CO2 nicht unter 25-30 € (derzeit: ~7€)
22.   Steuer auf Produktion von Kohlenstoffdioxid
23.   Einrichtung einer europäischen Agentur für Innovationen (Stichwort: Veränderungen durch Digitalisierung, etc.)
 
Quellen: Zeit.de, Tagesschau.de
Kommentar 1:
Emmanuel Macrons Europarede ist in einem Punkt bemerkenswert 
Emmanuel Macrons Vorschläge müssen selbstverständlich im Einzelnen  berwertet werden. Niemals kann von linker Seite aus geglaubt werden, jemand wie er, der zeit seines Lebens in elitären Zirkeln gelebt, eine  Magisterarbeit über Macchiavelli geschrieben, als Investmentbanker einer  internationalen Großbank gearbeitet hat und derzeit Arbeitsmarkt-‚Reformen‘ à la Agenda 2010 plant, könne auch nur an irgendeinem Punkt  nicht das Spiel des großen Geldes und der Mächtigen spielen. 
Kritisch muss hinterfragt werden, wenn er kurzfristig ein europäisches Verteidigungsbudget vorschlägt, samt Eingreiftruppe, eine  Finanztransaktionssteuer aber auf die lange Bank schiebt. Auch ist es  bestimmt kein Fehler seinerseits, dass er dabei nur Börsengeschäfte im Blick hat und seine früheren Investmentbankerkollegen schont, wenn  sie mit Derivaten und Co handeln. Ferner fragt man sich, wozu denn ein europäisches Verteidigungsbudget und die gemeinsame Asylpolitik verwendet werden sollen? Für eine weitere  europäische Abschottung vor den Folgen des euopäischen Wirtschaftsimperialismus, wie der zunehmenden Zahl Geflüchteter? Oder gar als offensives Instrument, das nach dem Vorbild der Nato in Krisengebieten eingesetzt werden soll? Oder geht es letzten Endes um Einsparungen, durch Zusammenlegen verschiedener Truppenteile? Letzteres könnte man durchaus begrüßenswert finden. Wer soll letzten Endes die Kontrolle über diese Armee haben? Ein Parlament, so wie bei der Bundeswehr? Und wem soll der nach Macrons Vorschlägen ausgebaute Sicherheitsapparat dienen, mitsamt einer europäischen Geheimdienstakademie?
Wenig Konkretes wird auch gesagt, in welche Richtung Sozialsysteme angeglichen werden sollen. Auf den niedrigsten, den höchsten oder einen mittleren Level aller EU-Staaten? Oder vielleicht auf einen bestimmten Prozentsatz des BIP? Es gibt  diverse Details, die hier aus dem Stehgreif nicht geklärt werden können, wie zum Beispiel, ob die vorgeschlagene Erhöhung der CO2-Emmisionskosten ausreichend wäre, um zu erreichen, dass unsere Wirtschaft nicht mehr die Zukunft unserer Kinder und ärmerer sowie wärmerer Teile des Globus gefährdet? Auch bei der auf EU-Ebene angeglichenen  Unternehmensbesteuerung multinationaler Konzerne, wie Google & Co, ist zu fragen: auf welchem Niveau soll die passieren?
Man kann sich vielen dieser Vorschläge aber dennoch auch von linker Seite aus annähern und sie wohlwollend interpretieren.
Aber was macht nun die Rede bemerkenswert? Dazu muss man sehen, wo wir jetzt in Europa stehen. Die EU und die Eurozone sind derzeit ein  festgefahrenes Werk aus Verträgen und Regeln, die nicht mit starker demokratischer Beteiligung der Bürger erstellt wurden. Viele Entscheidungen können nur getroffen werden, wenn alle EU-Länder einstimmig dafür votieren.
Wir haben erlebt, wie aufgrund der Maastricht-Verträge und der ungleichen wirtschaftlichen Machtverhältnisse in der Eurozone eine Austeritätspolitik zuungunsten wirtschaftlich schwer angeschlagener Länder durchgesetzt wurde, die sich sogar über eindeutige, demokratisch  getroffene Entscheidungen, wie das Referendum des griechischen Volkes von 2015, hinwegsetzte. Weiter haben wir erlebt, dass damit nicht nur ein bemerkenswerter Souveränitätsverlust in Bezug auf wirtschaftliche Entscheidungen in den Krisenländern einherging, sondern die von Außen verordnete Politik auch außerordentlich ineffizient war, wenn man als Kriterium zugrundelegt, dass es den Bevölkerungen in diesen Ländern besser gehen sollte, etwa durch den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Stattdessen wurden das Risikokapital  von Banken und Versicherungen aufgefangen.
Diese Politik aber, lässt sich auf nationaler Ebene nicht ändern, da nationale Regierungen gebunden sind, durch ie gemeinsame Währung, die gemeinsame EZB-Politik sowie die eingegangenen Eurozonen-Verträge.

Stattdessen müsste eine Entscheidungen, die den Währungsraum betreffen, eindeutig dem demokratischen Ideen-Wettbewerb unterworfen werden. Es müsste also möglich sein, das Regelwerk der Eurozone mit demokratischen Mitteln zu verändern. Und vielleicht müsste dafür der demokratische Prozess selbst sogar mutig erweitert werden (meine Empfehlung hier: die Lektüre des Buches „Gegen Wahlen – Warum Abstimmen nicht demokratisch ist“ von David van Reybrouck).

Bemerkenswert ist nun, dass mit Macron jemand aus der ersten Reihe der europäischen Politik-Elite ein neues Level europäischer Demokratie vorschlägt. Nämlich auf Ebene der Eurozone. Diese, durchaus positive, Erzählung sollten wir von linker Seite aus aufnehmen und ausbauen. An dieser Stelle ist Fundamentalopposition unangebracht, auch wenn sie dadurch verständlich wird, dass sie sich gegen einen im Kern neoliberalen Politiker richtet. Vielmehr geht es darum, den Versuch zu unternehmen, Leuten wie Macron  diese Erzählung zu stehlen und gleichzeitig das Momentum zu nutzen, das entsteht, wenn jemand wie er es vorschlägt. Und eigentlich ist eine stärkere europäische Demokratie doch soch ohnehin eine linke Idee. Auch das sollte man deutlich machen. 
Klar ist, dass wenn die Eurozone nicht auf demokratischere Beine gestellt wird, es keinen Ausweg aus der neoliberalen Hegemonie geben kann. Dafür würden jene Kreise sorgen, die sowohl über jede Menge Geld als auch über viel Einfluss verfügen. Außerdem dürfte die EU, und implizit auch die Eurozone, durch den vorherrschenden Mangel an demokratischer Legitimität, von rechter Seite aus immer weiter unter Beschuss geraten. Und in gewisser Hinsicht sogar zu recht!
Aber wir sollten uns bei unseren Forderungen nach einer stärkeren europäischen Demokratie natürlich nicht mit einem lobbyistisch gesteuerten Parlament begnügen, sondern unsererseits mehr Demokratie einfordern. Über Volksentscheide etwa, oder mit Elementen einer aleatorischen Demokratie, wie z.B. in dem oben bereits erwähnten Buch „Gegen Wahlen“ beschrieben. 
Also hier ist tatsächlich eine Erzählung, die wir hier nutzen sollten. Und dafür finden sich in Macrons Rede bemerkenswerte Vorlagen!
Aus der Presse:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065763.mit-macrons-ideen-gegen-den-deutschen-neoliberalismus.html